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Schuld und Schuldfähigkeit (§§ 19 ff. StGB)

Schuldfähigkeit ist die Grundvoraussetzung jedes Schuldvorwurfs. Für eine Schuldfähigkeit wird vom Gesetz das Mindestmaß an Selbstbestimmung für strafrechtliche Verantwortlichkeit verlangt.

Das Alter des Täters ist für die Feststellung der Schuldfähigkeit ein Bemessungskriterium.

  • Das Gesetz vermutet bei Kindern, d. h. Jugendliche unter 14 Jahren, unwiderleglich die mangelnde Reife. Nach § 19 StGB sind sie schuldunfähig, können also wegen begangener Straftaten in keinem Fall bestraft werden. Sie sind strafunmündig.
  • Im Einzelfall besonders geprüft und positiv festgestellt werden, muss die Schuldfähigkeit bei Jugendlichen im Alter von 14 bis noch nicht 18 Jahren. Hierbei ist entscheidend, ob die geistige und sittliche Entwicklung des jugendlichen Täters bereits so weit fortgeschritten ist, dass er in der Lage war einzusehen, dass die Tat Unrecht darstellte und er sich nach dieser Einsicht rechtmäßig hätte verhalten können (§ 3 JGG).
  • Als Heranwachsende werden Personen zwischen 18 und noch nicht 21 Jahren.  Ihre Schuldfähigkeit wird vermutet.
  • Die Schuldfähigkeit wird bei Erwachsenen, d. h. Personen ab 21 Jahren ebenfalls vermutet. An § 20 StGB lässt sich dies festmachen: Aus der negativen Formulierung folgt, dass die Schuldunfähigkeit die Ausnahme ist.

Wird die Schuldfähigkeit des Täters positiv festgestellt oder wird sie kraft Gesetzes vermutet, ist in einem zweiten Schritt zu überprüfen, ob sie bei der konkreten Tat ausnahmsweise ausgeschlossen ist. Allein nach § 20 StGB wird dies beurteilt. Diesem liegt die sog. gemischt biologisch-psychologische Methode zugrunde:

  • Voraussetzung der biologischen Schuldunfähigkeit ist, dass zur Tatzeit entweder eine krankhafte seelische Störung oder eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung oder Schwachsinn oder eine andere schwere seelische Abartigkeit vorliegt. Über die krankhafte seelische Störung werden Rauschzustände durch Alkohol erfasst. Die bei dem Täter festgestellte Blutalkoholkonzentration (BAK), die in der Einheit „‰“ angegeben wird, ist entscheidend. Die Rechtsprechung hat anknüpfend an medizinische Erkenntnisse in der Vergangenheit Leitlinien entwickelt, an denen sich die Feststellung der Schuldfähigkeit orientiert:
    • Bei einem erwachsenen gesunden Menschen kann i.d.R. bei Blutalkoholkonzentrationen von unter 2,0 ‰ von voller Schuldfähigkeit ausgegangen werden, sofern keine besonderen alkoholbedingten Ausfallerscheinungen vorliegen.
    • Eine krankhafte seelische Störung ist bei einer Alkoholisierung von mehr als 2,0 ‰ möglich, aber nicht zwingend.Anhand der Persönlichkeit des Täters und seines Verhaltens vor, während und nach der Tat ist im Einzelfall zu entscheiden, ob er bei Begehung der Tat schuldfähig war oder nicht. Jedoch kann in derartigen Fällen von einer verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB ausgegangen werden.
    • Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB liegt i.d.R. ab 3,0 ‰ bei der Tatbegehung vor. Dies ist aber nicht zwingend: Ist der Täter etwa gewöhnt, Alkohol in großen Mengen zu sich zu nehmen, kann die Schuldfähigkeit auch in gleichartigen Fällen bejaht werden. Bei Tötungsdelikten wird zudem aufgrund der hohen Hemmschwelle eine Schuldfähigkeit i.d.R. erst ab 3,3 ‰
  • 20 StGB setzt in psychologischer Hinsicht voraus, dass der Täter infolge eines der o. g. biologischen Defekte unfähig gewesen sein muss, entweder das Unrecht der Tat einzusehen (=Einsichtsunfähigkeit, 1. Alternative) oder nach dieser Einsicht zu handeln (=Steuerungsunfähigkeit, 2. Alternative).

Der maßgebliche Zeitpunkt für die Feststellung der Schuldfähigkeit ist nach dem Wortlaut des § 20 StGB  „bei Begehung der Tat“. Im Zeitpunkt der Vornahme der Tathandlung muss demnach die Schuldfähigkeit vorliegen.  Sollte der Täter in diesem Zeitpunkt infolge von Rauschmitteln (z. B. Alkoholisierung, s. o.) schuldunfähig sein, kann die Strafbarkeit aus einer Vorsatztat ggf. über die besondere Rechtsfigur der „actiolibera in causa“ - a.l.i.c. (eine in ihrer Ursache freie Tat) begründet werden.

Das Ausgangsproblem - die actio libera in causa

Durch Alkohol, Drogen, Tabletten usw. versetzt sich der Täter in den Zustand der Schuldunfähigkeit und begeht in diesem Zustand eine schwere Straftat (z. B. Tötung eines Menschen).

Der Täter ist zum eigentlichen Zeitpunkt aufgrund § 20 StGB schuldunfähig und kann wegen der in diesem Zeitpunkt nicht frei verantwortlich vorgenommenen Tat nicht bestraft werden (= sog. „actio non libera  in aktu“).  Der Täter kann immerhin noch wegen Vollrausches gemäß § 323 a bestraft werden, wenn er sich vorsätzlich oder fahrlässig in den Zustand der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit versetzt hat. § 323 a weist allerdings eine Höchststrafe von 5 Jahren auf.

Spätestens dann, wenn der Täter die Tötung im schuldunfähigen Zustand schon von vorherein geplant hatte, wird die „Gerechtigkeitslücke“ zwischen § 20  StGB und § 323 a deutlich: „5 Jahre für eine von vornherein geplante Tötung?“ Zur Schließung solcher Lücken wendet die h. M. (herrschende Meinung) seit langem die vorsätzliche a.l.i.c. an.

Voraussetzungen der vorsätzlichen a.l.i.c.

  • Zunächst einmal setzt eine vorsätzliche a.l.i.c. voraus, dass der Täter im noch schuldfähigen Zustand eine Handlung vorgenommen hat, die Bedingung für die Tat im schuldunfähigen Zustand geworden ist, (sog. „actiopraecedens“, wie z. B. betrinken, Tabletten schlucken).
  • Erforderlich ist weiterhin, dass der Täter bei o. g. actiopraecedensDoppelvorsatz hatte, zum einen bzgl. der Herbeiführung der Schuldunfähigkeit, zum anderen bzgl. der späteren Tat.

Folglich wird die im eigentlichen Tatzeitpunkt straflose „actio non libera in aktu“ zu einer strafbaren „actio libera in causa“.

Rechtliche Begründung der a.l.i.c.

Das Schuldausnahme- und das Tatbestandsmodell sind die beiden wichtigsten Begründungsmodelle.

  • Für die Prüfung der Strafbarkeit ist nach dem Schuldausnahmemodell grundsätzlich an das tatbestandsmäßige Verhalten des schuldunfähigen Täters  in der unmittelbaren Tatsituation  anzuknüpfen. Die a.l.i.c. ist dann als gewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme zu der von § 20 StGB geforderten Simultaneität von Tatausführung  und Schuld zu sehen. Nicht schon der strafrechtliche Anknüpfungspunkt wird nach diesem Modell unter den Voraussetzungen der a.l.i.c. auf die actiopraecedensvorverlagert, sondern nur die Prüfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit.
  • Mit der a.l.i.c. ist es nach der Vorverlagerungstheorie bzw. nach dem Tatbestandsmodell (bisher h. M. „herrschende Meinung“) möglich, schon in einer Handlung vor Eintritt der Schuldunfähigkeit (z. B. im Betrinken) den Beginn der tatbestandsmäßigen Handlung zu sehen. Daher komme es zu einer Vorverlagerung des strafrechtlichen Anknüpfungspunktes. Insbesondere wird zur Begründung auf die Äquivalenztheorie verwiesen, wonach alle erfolgsursächlichen Bedingungen in der „Kausalkette“ als gleichwertig zu behandeln sind und somit auch als Tathandlung in Betracht kommen. Für die verhaltensgebundenen Delikte allerdings lehnt die Rechtsprechung (Rspr.) die Vorverlegungstheorie ab, also für solche Straftatbestände, die eine bestimmte Tathandlung voraussetzen (z. B. Führen eines Kraftfahrzeuges bei § 316 StGB). Der Vorwurf könne gerade nicht auf Verhaltensweisen bezogen werden, die diese Modalität nicht erfüllen, wenn der Gesetzgeber eine bestimmte Modalität der Tatbestandsverwirklichung voraussetze.

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